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Zum Tode von J.-B. Quicheron, Ehrenpräsident der CBTI

Mit großer Trauer geben wir den Tod von Herrn Jean-Bernard Quicheron bekannt. Mit seinen reichen Erfahrungen als Konferenzdolmetscher bei den europäischen Institutionen war er von 1978 bis 1997 Präsident der CBTI und später Ehrenpräsident unseres Verbandes.

Auch die Gründung von Eurodicautom (heute IATE) und die Ausstattung von Konferenzdolmetscherkabinen mit EDV geht auf ihn zurück. Außerdem war er Winzer in der Champagne. Jean-Bernard Quicheron wird auf immer eine der wichtigsten Säulen in der Geschichte der CBTI bleiben.

Im Folgenden finden Sie ein Interview mit Jean-Bernard, das 2005 anlässlich des 50-jährigen Verbandsjubiläums geführt wurde.

Die CBTI spricht seiner Familie ihr tiefempfundenes Beileid aus.

Frédéric Cavallier: Sie waren 18 Jahre lang Präsident der CBTI. Was hat Sie dazu bewogen, diese anspruchsvolle Funktion so lange zu erfüllen? Selbstlosigkeit, das Bedürfnis, sich für eine Sache zu einzusetzen, Leichtsinn, Liebe zum Beruf?

Jean-Bernard Quicheron: Dass ich Präsident wurde, war eigentlich eher Zufall. Im Verband gab es häufig Streitigkeiten und Unruhe, viele Mitglieder traten daher zurück, was für eine kontinuierliche Verbandsführung nicht gut ist. Mir wurde die Präsidentschaft angetragen und ich wurde gewählt. Dabei darf man nicht vergessen, dass der Präsident gewählt werden muss, er wird also nicht vom Vorstand berufen. Ich hätte nie gedacht, dass ich so lange Präsident bleiben würde. Es war sicherlich eine Prise Leichtsinn im Spiel, dann die Liebe zum Beruf, aber vor allem empfand ich es als ungerecht, dass „Dolmetscher“ und „Übersetzer“ im Gegensatz zu anderen Berufen unreguliert, also keine geschützten Berufsbezeichnungen sind. Andererseits hatte ich immer das Bedürfnis zu lernen und dies schien mir eine gute Gelegenheit zu sein, noch mehr über den Beruf zu erfahren. Und in einem Vorstand kann man weiß Gott eine Menge lernen.

Aber Sie waren ein europäischer Beamter und ganz gleich, ob als Übersetzer, Dolmetscher oder Verwaltungsangestellter, hatten Sie eine komfortable Position und mussten nichts verteidigen.

Das ist absolut richtig. Ungerechtigkeit konnte ich aber noch nie ertragen und so sagte ich mir, dass ich in meiner privilegierten Position nicht wie ein freiberuflicher Dolmetscher kämpfen müsste und daher meine Freizeit sehr wohl der Verteidigung der Interessen des Berufsstandes widmen könnte. Ich habe es nie bereut. Das Amt hat mir viel Befriedigung verschafft und ich habe viele interessante Kollegen mit den unterschiedlichsten Berufsprofilen kennengelernt. Ich denke auch, dass ich unserem Verband eine große Stabilität verliehen habe. Es ist uns gelungen, die Mitgliederzahl zu verdoppeln, was nicht zu unterschätzen ist. Gemeinsame Interessenvertretung ist nicht gerade die Stärke von Übersetzern, aber gerade in einem unregulierten Beruf macht nur Einigkeit stark.

Könnten Sie uns in kurzen Worten den Weg beschreiben, der Sie nach Brüssel geführt hat?

Aber gern. Tatsächlich hat mich nichts, aber auch gar nichts dazu prädestiniert, Konferenzdolmetscher zu werden. Ich wurde 1940 in Frankreich, genauer gesagt in der Champagne, in einer Winzerfamilie geboren. Ich sprach nur Französisch und meine Fremdsprachkenntnisse erwarb ich in der Schule. Schnell begeisterte ich mich für Sprachen und Naturwissenschaften und machte 1958 in Reims mein Abitur. Dann folgte eine eher schwierige Zeit, ein zweijähriger Aufenthalt in England am Polytechnikum in London, wo ich Wirtschaft studierte, und dann fünf Jahre in Deutschland am Dolmetscher-Institut der Universität Heidelberg. Ich muss unter einem glücklichen Stern geboren sein, denn es war eine Reihe von Zufällen, die meine Schritte nach Heidelberg lenkte. Ich kann wirklich nicht sagen, dass ich mein Studium oder gar meine Karriere geplant hätte. Als Werkstudent musste ich mein gesamtes Studium in Deutschland durch Französischunterricht finanzieren, was besonders anstrengend war. Als ich dann mein Konferenzdolmetscherdiplom hatte, wurde ich zufällig nach Brüssel gerufen, da die Universität Heidelberg Kontakte zur Europäischen Kommission hatte. Dort musste ich eine Reihe von Prüfungen ablegen, um fest angestellter Dolmetscher zu werden, aber meine Ankunft in Brüssel ebnete mir schließlich den Weg in eine großartige Laufbahn. Ich habe nur einen Monat lang nach einer Anstellung gesucht. Davon können junge Menschen heute nur träumen (so wie ich damals auch!).

Lassen Sie uns bitte noch einmal auf Ihre Zeit als Präsident der CBTIP zurückkommen. Wie sah der Verband aus, als Sie die Leitung übernahmen?

Ich war stets von der Weitsicht der Gründungsväter dieses Verbandes beeindruckt, denn die grundlegenden Texte – Satzung und Geschäftsordnung – mussten im Laufe der Jahre nur selten geändert werden. Als ich Präsident wurde, war die Stimmung gereizt, das Management war willkürlich und es gab viele persönliche Konflikte. Ich war der Meinung, dass eine friedliche Atmosphäre und ein gutes Einvernehmen zwischen den Mitgliedern und dem Vorstand, der mit dem Alltagsgeschäft befasst ist, Voraussetzung für ein gutes Verbandsleben sind. Und um unseren Berufsstand wirksam vertreten zu können, war es dringend notwendig, die Mitgliederzahl zu erhöhen. Erstaunlicherweise hat es nie einen konkurrierenden Verband gegeben.

Hatten Sie ein ständiges Sekretariat? Bekamen Sie Zuschüsse? Und Freiwillige, natürlich unbezahlt?

Unter meiner Präsidentschaft hatten wir nie ein ständiges Sekretariat, auch keine feste Adresse wie derzeit im Haus der Ingenieure. Erst Doris Grollmann sorgte für die Abstimmung über ein Sekretariat mit Festgehalt. Das war natürlich wunderbar. Aber damals fehlten uns die Mittel dafür. Allein dank des guten Willens eines jeden gelang es, uns gut zu organisieren und gleichzeitig hochprofessionell zu arbeiten.

Die Herstellung des Jahrbuchs jedoch blieb ein großes Problem. Pierre Moskvitcheff war der erste, der unter meiner Präsidentschaft 1987 ein echtes Berufsverzeichnis erstellte. Eine echte Herkulesarbeit! Und eine großartige Leistung!

1988 war ich im Besitz eines PCs und erstellte eine elektronische Fassung dieses Verzeichnisses, das ich dann bis 1995 allein pflegte. Nie werde ich das erste Exemplar vergessen, das ich während meines Weihnachtsurlaubs in Ostende fertiggestellt habe. Der Nadeldrucker war sehr langsam und so laut, dass ich mit Frau und Kindern aus der Wohnung flüchtete, während er sein Werk verrichtete. Ein Papierstau war mit dem Endlospapier kaum zu befürchten. Ein solches Verzeichnis zu erstellen, ist aufwändig, für das Verbandsleben aber unverzichtbar.

Wie sah Ihr Beitrag zu einigen grundlegenden Texten der Kammer aus?

Frei nach dem Motto „Ein blindes Huhn findet auch mal ein Korn“ begann ich erst einmal, einen Ethikkodex für Übersetzer und für Dolmetscher zu erarbeiten. Dazu beriet ich mich natürlich mit den Verbandsmitgliedern und lehnte mich an bestehende Texte an, denn in einem so großen und komplexen Bereich kann man nie als Einzelkämpfer agieren. Diese beiden Texte sind nun Bestandteile des offiziellen Textkorpus der Kammer. Außerdem habe ich mich für die Verabschiedung von Dokumenten stark gemacht, in denen die Arbeitssprachen und die Arbeit von Übersetzern und Dolmetschern definiert werden. Es war nicht immer einfach, alle Beteiligten dazu zu bringen, sich auf die Texte zu einigen. Darüber hinaus habe ich mich für die Aufnahme der Spezialgebiete in das Verzeichnis eingesetzt, was Diskussionen von epischer Länge auslöste. Einige Mitglieder befürchteten nämlich, dass sie durch die Nennung eines Spezialgebietes Aufträge verlieren könnten.

Wie beurteilen Sie Ihre Präsidentschaft? Würden Sie alles noch einmal genauso machen?

Mit Abstand ist man immer bescheidener, als wenn man mit Tunnelblick mitten drin steckt. Ich denke, dass ich Ruhe, eine gewisse Professionalität, eine kontinuierliche Verbandsführung und vor allem einen deutlichen Zuwachs an Mitarbeitern erreicht habe. Unter meiner Präsidentschaft machte die CBTIP nie Verluste. Ich erinnere mich an ein schwieriges Jahr, in dem ich die Mitglieder des Vorstands bat, die Zahlung ihrer Beiträge vorzuziehen, weil das Ergebnis denkbar knapp ausfiel. Sie taten es, ohne mit der Wimper zu zucken, wofür ich sie sehr bewunderte, denn nichts zwang sie dazu. Sie handelten einfach solidarisch. Das war eine sehr schöne Geste, die wahrscheinlich in der Geschichte der Kammer unbemerkt geblieben ist.

Ich hätte gerne die Regulierung des Berufes erreicht, aber die Gründung eines Vereins (Federlingua), dessen einziger Zweck es war, gegen unser Projekt zu kämpfen, verhinderte die Verabschiedung der diesbezüglichen Verordnung. Ich war zutiefst enttäuscht, denn diese Ablehnung war das Ergebnis einer einseitigen Interessenvertretung, die nur den Übersetzungsagenturen diente, welche keine Einschränkung ihrer Freiheit akzeptierten. Aber ich fand auch einige Übersetzer ein wenig kleinlich. Bei den Verhandlungen verlangten sie bereits in Stein gemeißelte Garantien, während das Projekt noch mitten im Entstehen war. Als ich darauf hinwies, dass wir alle Verhandlungen abbrechen und das Projekt aufgeben würden, sobald das Projekt in seiner Endphase zu für den Berufsstand ungünstigen Entscheidungen führen würde, glaubten viele mir nicht. Ich muss gestehen, dass mich dieses ungerechtfertigte Misstrauen getroffen hat, denn ich habe stets mein Wort gehalten.

Auf jeden Fall scheint es nun so zu sein, dass die Regulierung der Berufe insofern ein Problem darstellt, als sie den freien Wettbewerb stören könnte. Allerdings fällt es mir schwer, dieses Prinzip zu akzeptieren. Denn selbstverständlich sollte niemand unterhalb der Rentabilität arbeiten, aber eine übermäßige Liberalisierung kann zu genau dieser ungesunden Entwicklung führen, und sei es mitunter nur vorübergehend.

Ich würde also alles noch einmal genauso machen, dabei aber versuchen, den Schwerpunkt auf eine bessere Sichtbarkeit des Verbands zu legen.

Was haben Sie am meisten gemocht und was hat Sie am meisten gestört?

Mir hat die Atmosphäre im Vorstand sehr gut gefallen. Ich mag die Vielfalt der Standpunkte, auch wenn ich manchmal als ein bisschen autoritär gelte. Ich habe immer versucht, die Meinungen anderer zu respektieren, außer wenn jemand eine egoistische und für unseren Berufsstand nachteilige Position einnimmt. Viele Mitglieder der CBTIP und des Vorstandes sind zu Freunden geworden. Besonders geschätzt habe ich die Professionalität, Intelligenz und Sachlichkeit von Jean-Pierre Callut, der mir viele Jahre lang als Generalsekretär zur Seite stand. Ich habe unglaublich viel von ihm gelernt. Zunächst einmal ist er ein erstklassiger Übersetzer, und dann hat mich sein Pragmatismus bei einigen meiner etwas zu theoretischen oder ehrgeizigen Positionen im besten Sinne „gezügelt“.

Pedanterie und kleingeistige Haltung konnte ich noch nie ausstehen. Nun haben aber manche Übersetzer (wahrscheinlich, weil sie in der kleinen Welt ihres Büros leben und mitunter wenig Kontakt zu anderen haben) einen Hang zu Haarspalterei, Wortklauberei und ständigen Spitzfindigkeiten. Das stimuliert vielleicht die Neuronen, ist aber der Sache nicht dienlich. Ein Präsident muss eine Engelsgeduld beim Zuhören haben und in der Lage sein, schnell auf den Punkt zu kommen, um eine Entscheidung zu treffen.

Hat man Ihnen auch Vorwürfe gemacht?

Aber ja! Ich wurde kritisiert, weil ich ein beamteter Dolmetscher und kein vereidigter Übersetzer war.

Als Reaktion darauf habe ich stets betont, wie vorteilhaft es für den Verband ist, dass ich kein Freiberufler bin. Erstens war ich kein Wettbewerber, ich habe niemandem Aufträge weggenommen, ich hatte Zeit, den Verband zu leiten, und ich musste keine rein persönlichen Interessen vertreten. Dadurch konnte ich mein Amt völlig unabhängig ausüben. Ich glaube, das habe ich schließlich auch den anderen klar machen können.

Was den vereidigten Übersetzer angeht, so war ich mit dem Thema vertraut, da ich am Cooremans-Institut einen Kurs über Ethik gab, für den ich mich mit dieser Frage beschäftigt und dem ich ein umfangreiches Kapitel gewidmet hatte. Ich wusste jedoch, dass die belgische Justiz, anders als die deutsche, nicht das Geld hat, um ihre vereidigten Übersetzer und Dolmetscher anständig zu bezahlen. Übrigens ist dies kein ausschließlich belgisches Problem. Die Arbeit der vereidigten Übersetzer ist besonders schwierig: spezifisches Vokabular, Verfahren mit wenig Spielraum für Dolmetscher, Formalismus der Texte, besonders schlechte akustische Bedingungen, Stress im Zusammenhang mit der verhandelten Sache usw. Doris Grollmann hat in diesem Bereich einiges bewegt.

Stimmt es, dass Sie manchmal für die Organisation von Kolloquien kritisiert wurden?

Ja, das ist wahr und seltsam zugleich, denn in einer Gesellschaft, in der jeder sein ganzes Leben lang lernt, erschien es mir merkwürdig, dass Übersetzer und Dolmetscher sich nicht treffen können sollten, um sich über ihren Beruf auszutauschen und Bilanz zu ziehen. Wir haben Kolloquien aller Art organisiert, was ich keineswegs bereue. Die Organisation solcher Veranstaltungen ist jedoch recht aufwändig. Der Auffassung einiger Leute, dass dies keine Priorität der Kammer sei, stimme ich bis heute nicht zu. Man muss immer wissen, wo man steht und wo man hin will.

Was halten Sie von den Berufen des Dolmetschers und Übersetzers? Sie haben diese Tätigkeit 1995 aufgegeben, neun Jahre bevor Sie in den Ruhestand gingen.

Ich finde diese beiden Berufe wunderbar.

Beim Dolmetschen bekommt man einen unglaublichen Einblick in die Welt, vor allem in die der Politik. Ich habe aus nächster Nähe gesehen, wie unsere Gesellschaften funktionieren, da die Gesetzgebung der EG fast alle Themen abdeckt, die auch auf nationaler Ebene behandelt werden, mit Ausnahme der Verteidigung. Dolmetschen erfordert einen gewissen Lebensstil, da das Gehirn und die Konzentration stark beansprucht werden. Dennoch fühlte ich mich immer etwas unwohl, Vermittler von Inhalten zu sein, für die ich wohl in diesem Raum am wenigsten kompetent war. Dies basiert auf einem gewissen Paradox: Abgesehen von seltenen Ausnahmen ist der Dolmetscher, also der Sprachmittler, derjenige, der mit dem konkreten Vorgang am wenigsten vertraut ist. Deshalb habe ich stets versucht, mich so gut wie möglich vorzubereiten. Ich hatte ein ganzes System zur Vorbereitung der Dolmetscher bei wissenschaftlichen und technischen Konferenzen aufgebaut und die Ausstattung der Kabinen mit Laptops vorgesehen, um den Dolmetschern Zugriff auf Texte, Lexika und Bilder zu ermöglichen.

Hin und wieder habe ich auch als Übersetzer gearbeitet und empfinde auch diese Tätigkeit als sehr befriedigend. Sie erfordert noch größere Detailgenauigkeit, denn das geschriebene Wort ist beständig. Die Freude, nach langem Recherchieren einen Text zu erstellen, dessen Wortwahl und Syntax so klingen, als sei er in der Zielsprache verfasst worden – all das ist ein unbeschreibliches Vergnügen. Ganz zu schweigen von der Arbeit der Terminologen, Korrekturleser usw.

Warum haben Sie das Dolmetschen und Übersetzen aufgegeben?

Ich weiß nicht, ob man sagen kann, dass ich es aufgegeben habe, denn ich hänge immer noch sehr daran. Nach 28 Jahren im Beruf wollte ich die andere Seite sehen, die der Akteure, der Verfasser unserer Texte. Darüber hinaus werden Verwaltungsangestellte in einer Behörde im Hinblick auf ihre Laufbahn besser behandelt und besser entlohnt als reine Sprachwissenschaftler. Um meinen beruflichen Horizont zu erweitern, wollte ich nicht in der Linguistik verharren.

In unserem Berufsfeld „die Seiten zu wechseln“, ist keine Kleinigkeit, denn Klischees über Linguisten wie “die können nur Sprachen” halten sich hartnäckig. Ich hatte eine Leidenschaft für Informatik und Dokumentation entwickelt, und damit die Möglichkeit, eine völlig andere Richtung einzuschlagen. Abläufe zu lernen, Mitarbeiter zu führen und ein beträchtliches Budget zu verwalten – all das war nicht einfach.

Welcher Beruf hat Ihnen besser gefallen, Dolmetscher oder Verwaltungsbeamter?

Diese Frage ist nicht leicht zu beantworten. Jemandem wie mir, der nicht aus der Verwaltung oder der Politik kommt, sondern aus dem Weinbau, bietet das Dolmetschen die Gelegenheit, die Rolle des Staates im täglichen Leben der Bürger und die Rolle einer Verwaltung in ihrer spezifischen Ausprägung als Europäische Kommission zu entdecken.

Dolmetschen ist ein schwieriger, aber spannender Beruf, denn bei der Kommission ist der Dolmetscher Mittler zwischen all den Akteuren unserer Länder mit ihren unterschiedlichen Gesellschaftsstrukturen. Natürlich ist seine Aufgabe in erster Linie sprachbezogen, doch darüber hinaus spielt er im Kommunikationsprozess eine wesentliche Rolle. Jedem wissbegierigen Menschen bietet dieser Beruf die Möglichkeit, ein breit gefächertes Wissen anzuhäufen.

Bei einem Verwaltungsbeamten kommt eine ganz andere Facette des Menschen zum Tragen. Ich denke, wir alle verfügen über zahlreiche und vielfältige Fähigkeiten, die sich in einem eingeschränkten oder einschränkenden Berufsumfeld mitunter nur begrenzt entwickeln können.

Ich hatte das große Privileg, in der Generaldirektion 10 (Information, Kommunikation, Kultur, Audiovisuelle Medien) für den Zentraleinkauf elektronischer Informationen zuständig zu sein. Meine Aufgabe war es, Produkte wie den Newsletter der Agence Europe ins Intranet zu bringen, ein beträchtliches Budget zu verwalten, Kaufverträge auszuhandeln und Kontakte zur Geschäftswelt zu pflegen.

Danach wurde ich mit der Verwaltung des Intranets betraut, das zunächst EUROPAplus hieß, bevor es nach dem Wechsel zur Generaldirektion Personal und Verwaltung in IntraComm umbenannt wurde. Das Intranetmanagement hat mir sehr gut gefallen. In der Generaldirektion Justiz und Inneres (JI) schließlich war es meine Aufgabe, der Öffentlichkeit möglichst gut zu vermitteln, auf welche Weise die Kommission konkret an der Schaffung eines „Raumes der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts“ arbeitet. Dazu habe ich insbesondere das virtuelle Dokumentationszentrum im Europa-Internetauftritt unter Recht, Sicherheit und Freiheit ins Leben gerufen.

Ist es einfach, Verwaltungsbeamter zu werden, wenn man vorher Dolmetscher war?

Ja und nein. Vor über zehn Jahren musste man ein Auswahlverfahren bestehen, um von der Sonderlaufbahn Sprachendienst (LA) zur Laufbahngruppe A aufzusteigen. Einige meiner Kollegen hatten den Mut dazu, Ich habe das jedoch abgelehnt. Denn nach meinem Verständnis war ich gleichermaßen Akademiker wie Verwaltungsbeamter der Laufbahngruppe A und hatte nicht für diese administrative Diskriminierung zu büßen, die auf eine fehlerhafte Vorgehensweise bei der Abfassung der Grundlagentexte des Status zurückzuführen war. Inzwischen ist diese Diskriminierung glücklicherweise aufgehoben worden.

Ein Sprachwissenschaftler wiederum bleibt gehandicapt, wenn er Verwaltungsbeamter werden will, ohne eine Verwaltungsausbildung absolviert zu haben, sondern sich – wenn man so sagen darf – mit seiner Expertise als hochqualifizierter Sprachwissenschaftler „begnügt“ hat. Denn die Verwaltung von Budgets, Personal, komplexen Dossiers wie Ausschreibungen, Verträgen usw. erfordert ein bestimmtes Fachwissen, das man nicht durch eine ausschließliche Tätigkeit als Sprachwissenschaftler erwirbt.

Meine Leidenschaft als Autodidakt in Informatik und Dokumentation (ich war viele Jahre lang EDV-Beauftragter) ermöglichte mir 1995 einen äußerst erfolgreichen Wechsel. Ich hatte das Konzept der „Kabine des Jahres 2000“ initiiert, bei dem alle Informationen, die der Dolmetscher benötigt, per Computer in die Kabine geleitet werden. Dazu hatten wir mit dem Marie-Haps-Institut zusammengearbeitet, das dieses Projekt unterstützte, das allerdings letztlich nicht erfolgreich war. Damals mangelte es noch an intellektueller Bereitschaft dafür, doch Teile des Konzepts sind inzwischen umgesetzt worden.

Dennoch war es schwierig, sich auf die Verwaltung von Budgets und Verträgen sowie auf das Personalmanagement umzustellen. Themenbereiche, gleich welcher Art, zu managen, ist eine wunderbare Herausforderung.

Kennzeichnend für Ihre Persönlichkeit war und ist Ihre Vielseitigkeit als Konferenzdolmetscher, Übersetzer, Terminologe, Dokumentationswissenschaftler, Intranet- und Internetfachmann und als Spezialist für den Einkauf von Fachinformationen. Was würden Sie jungen Menschen raten, die sich für eine Karriere als Übersetzer oder Dolmetscher interessieren?

Da gibt es Vieles zu bedenken. Man ist nur dann gut, wenn man etwas mit Leidenschaft macht. Sind Sie sicher, dass Sie sich für das Übersetzen oder Dolmetschen begeistern? Das ist die erste Frage. Die zweite lautet: Gefällt es Ihnen, anderen zu dienen, oder ziehen Sie es vor, dass andere Ihnen dienen? Wenn Sie bereit sind, Ihr ganzes Leben lang Vermittler zu sein – kein Problem. Wenn nicht, denken Sie noch einmal ernsthaft darüber nach!

Kommen wir zu den Ratschlägen. Ihr wichtigstes Werkzeug ist Ihre Muttersprache, denn in diese werden Sie übersetzen oder dolmetschen. Beherrschen Sie dieses Werkzeug? Sind Sie ganz sicher? Seien Sie nicht zu nachsichtig mit sich selbst! Und dann: Lernen Sie gern? Sind Sie bereit, Ihr ganzes Leben lang zu lernen? Das ist das Wunderbare an diesem Beruf, aber auch die größte Herausforderung. Und schließlich: Treten Sie einem Berufsverband bei! Dort werden Sie Kollegen finden, die dieselben Schwierigkeiten haben wie Sie und die Ihnen Lösungen anbieten können.

Wenn Sie diese Hauptanforderungen erfüllen, krempeln Sie die Ärmel hoch! Nur weil Sie ein Diplom in der Tasche haben, heißt das noch lange nicht, dass Sie bereits ein Profi sind. Fangen Sie klein an, lernen Sie das Handwerk langsam, aber sicher! Es wird Sie hundertfach dafür belohnen!

Warum sind Sie Mitglied der CBTIP geworden?

Vielleicht werden Sie mir nicht glauben, aber der wahre Grund ist folgender: Ich habe am Cooremans-Institut den Kurs „Ethik des Übersetzens und Dolmetschens“ gegeben und einen großen Teil dieses Kurses dem vereidigten Übersetzen gewidmet. Jedoch kannte ich nur den theoretischen Teil. Mitglied der CBTIP bin ich nur geworden, um besser über die praktische Situation des vereidigten Übersetzers informiert zu sein, denn ich hasse es, über Dinge zu reden, die ich nicht kenne.

Wer sagte noch gleich „Wenn die Neugier sich auf ernsthafte Dinge richtet, dann nennt man sie Wissensdrang“?

In jedem Fall halte ich die Mitgliedschaft in einem Berufsverband für unverzichtbar, denn so kann man sich innerhalb des Berufs, innerhalb der Gesellschaft besser positionieren. Dahinter steht nicht notwendigerweise die gemeinsame Interessenvertretung. Es ist vielmehr der Wunsch, sich besser zu integrieren, sich fachlich weiterzuentwickeln, Informationsquellen und Vergleichsmöglichkeiten zu nutzen.

Und schließlich hier noch Worte, die man verinnerlichen sollte: „Ich achte mich gering, wenn ich mich betrachte. Ich achte mich hoch, wenn ich mich vergleiche.“

Das Interview führte Frédéric Cavallier

Übersetzung: Gabriele François